Vor nicht allzulanger Zeit habe ich mir bei einem Antiquariat Schopenhauers “Die Welt als Wille und Vorstellung” bestellt. Ich habe noch nicht viel darin gelesen, weil es dummerweise in Frakturschrift gedruckt ist und ich keine Lust hatte, mich langsam an diese Schrift zu gewöhnen (ich will immer gleich perfekt sein). Gestern wagte ich das erste Mal einen Blick hinein und war gefesselt. Es war allerdings nicht der Text, der mich fesselte, sondern die Unterstreichungen und Randbemerkungen, die jemand hineingeschrieben hatte. Der bloße Text hätte dies nicht leisten können. Zudem war es eine alte Handschrift. Am Rand geschrieben stand also “So ist es!” und ich las die fett unterstrichenen Zeilen: “Denn alle Verliebtheit, wie ätherisch sie sich auch gebärden mag, wurzelt allein im Geschlechtstriebe, ja, ist durchaus nur ein näher bestimmter, spezialisierter, wohl gar im strengsten Sinn individualisierter Geschlechtstrieb.” So ist es!
Ich blätterte ein wenig zurück und fand heraus, dass nur das eine Kapitel mit Unterstreichungen und Randbemerkungen versehen war, nämlich die “Metaphysik der Geschlechtsliebe”. Aber der damalige Leser war kein Erzkonservativer, wie ich nun danach dachte. Vielmehr schrieb er später sogar an den Rand “Alter Sauertopf” und “Ogottogott” als Schopenhauer die Geschlechtsliebe als “feindseligen Damön” auftreten sieht.
Schopenhauer gelangt jedenfalls zu der alles entscheidenden Frage (neben der steht “er hat recht”) : “Weshalb sollte eine solche Kleinigkeit eine so wichtige Rolle spielen und unaufhörlich Störung und Verwirrung in das wohlgeregelte Menschenleben bringen?”
Hier nur kurz die erste Antwort: “Das nämlich, was dadurch entschieden wird, ist nichts Geringeres als die Zusammensetzung der nächsten Generation.“