Die Mitleidsmaschinerie fordert nun ihr erstes Opfer: Susanne Osthoff selbst. Sie ist undankbar: Ruft ihre Familie nicht an, kommt nicht nach Deutschland und will sogar weiterhin im Irak bleiben und dort forschen. Scheinbar hat sie die Bedeutung ihrer eigenen Entführung nicht verstanden. Für sich selbst sicherlich. Aber nicht für Deutschland. In Deutschland hatte ihre Familie Petitionen und Aufrufe gestartet, sie war für mehrere Tage Nachrichten-Top-Thema, Ex-Bundeskanzler Schröder hat eine Botschaft an die Entführer gerichtet, drei Altbundespräsidenten haben einen offenen Brief an die Entführer verfasst.
Deutschland hatte endlich seine Mitleidsmaschine hochgefahren. Aber nicht ihretwegen, sondern, weil man nun auch einmal betroffen ist. Jede Entführung sei letztendlich auch “eine symbolische Gefangennahme einer Nation”, schreibt ein Kommentator in der Süddeutschen. Susanne Osthoff hat nun mit ihrer undankbaren Reaktion klargestellt, dass es um sie und nicht um die Nation ging. Nun ist die Nation beleidigt. In der Süddeutschen sieht man schon die Mitleid-Standards bei neuerlichen Entführungen gesenkt. Wie soll die Nation noch einmal diesen Kraftakt aufbringen, wenn sie nun solchen Undank geerntet hat?
Entführungen sind aber kein Fußballspiel, es geht nicht um den nationalen Selbstwert, es geht um ein individuelles Menschenleben. Und wenn dieser Mensch all die medialen Anstrengungen, all die Solidarisierungen, all die Aufrufe gar nicht will, muss er dann trotzdem den Preis der Anstrengung all dieser Menschen bezahlen? Scheinbar schon. Im Undank offenbart sich am ehesten das Motiv des Helfers.