Heute hatte ich erstmals wirklich das Gefühl nicht hip und cool zu sein. Es geschah als ich die Neon durchblätterte und bei der Rubrik “Darum ist das so” hängen blieb. Ich las zunächst alle drei Erklärungen der einen Seite. Die Phänomene (warum wir gleich mitklatschen, warum Männer nichts zur neuen Frisur der Freundin sagen, warum die Zeitung nebenan interressanter ist) betrafen mich nicht stark und ich spürte in mir eine ungewisse Differenz zum Zielpublikum in mir aufsteigen. Normalerweise hätte ich hier wahrscheinlich das Magazin weglegen müssen, doch etwas trieb mich auch noch die andere Seite zu betrachten. Und da stand es: “Warum wir bei unseren Eltern immer zuerst in den Kühlschrank schauen.” Hatte mich das andere nicht betroffen, ich aber eingesehen, dass es irgendwo Menschen geben mochte, die das Thema interessant fänden (von den wenig spannenden Erklärungen mal abgesehen), stand nun dieses absolut unsinnige Style-Thema vor mir und mir wurde schlagartig klar, dass ich nicht die Zielgruppe bin. In einem kurzen Anfall von Selbstüberhöhung wagte ich sogar den Schluss, dass das Magazin hier Dinge aufklärt, die es eigentlich nur in hippen Fernsehserien oder bei coolen Menschen gibt, die stark dem amerikanischen Sitcom-Lebensmodell nacheifern. Ich konnte und kann mir nicht vorstellen, dass es dieses Klischee in Wirklichkeit gibt. Bei den Eltern? Als erstes in den Kühlschrank schauen? Vielleicht bei Freunden, aber nicht mal da. Der Kühlschrank hat doch jenseits aller in Sitcoms suggerierten Zugänglichkeit, eine Aura der Intimität. In den meisten WGs deuten das schon die verschiedenen Fächer an. Das mag mit der Alternativität der WG abnehmen, aber selbst Alternative haben heutzutage ja oft ein ausgeprägtes Besitzdenken.
Beim Heimkehren zu den Eltern deutet es schon einen sehr großen Unterschied an, ob man direkt an den Kühlschrank geht oder tausend andere Dinge zunächst macht oder fragt. Wahrscheinlich ist man, wenn man direkt an den Kühlschrank geht, mental noch nicht einmal ausgezogen, denn es würde der Einsicht bedürfen, den dortigen Kontext zwar als die Heimat, aber nicht als das eigene Heim zu erkennen. Und das ist eben der Unterschied: Wenn man in den anderen Kontext kommt, benötigt es Zeit, daraus die damalige und heutige Heimat zu formen. Der sofortige Gang zum Kühlschrank dampft den großen Unterschied zwischen der eigenen Wohnung und der elterlichen Wohnung ein.
Zur Rettung der Redakteurin und zu meiner Schande muss ich hier ehrlicherweise anmerken, dass mich der Titel so abgeschreckt hat, dass ich den Artikel nicht las. Die Redakteurin wollte damit weniger die Selbstverständlichkeit der Selbstbedienung suggerieren, sondern eher das Gefühl für die heile Heimat-Welt (wofür ein gut gefüllter Kühlschrank steht) symbolisieren. Bei mir löste jedoch die Überschrift und die vorherigen Gedanken über die Neon-Zielgruppe die obige Aversion aus.