Hiermit führe ich in meinem Blog eine neue Rubrik ein. Sie heißt „Was in einem Neon-Artikel alles hätte drin stehen können.“ Damit nutze ich die alte Feindschaft zur Neon, um mal wieder ein wenig produktiv zu werden.

Hier der Teaser eines Artikels aus der aktuellen Neon:

Schon mal was vom kategorischen Konjunktiv der Liebe gehört? Nein? Aber jeder von uns hat doch schon mal einen Menschen getroffen, der die große Liebe hätte sein können. Aber eben nicht geworden ist. NEON-Autor Christian Seiler erklärt, warum Leute, die in einer Beziehung stecken, aber auch Singles so oft Liebeschancen verstreichen lassen – und dann damit hadern.

Leider stimmt das nicht, der Autor erklärt es nicht. In typischer Neon-Manier featured er das Thema lange persönlich an, kommt dann immerhin ohne den eigentlich obligatorischen Psychologen aus, schwadroniert sich dann über wenig spannende Ideen (die Vorstellung, wie sich völlig fremde Menschen in einer Beziehung ändern könnten und darauf aufbauend, deren „Heiratbarkeit“ abzuschätzen) zu dem Schluss, dass doch alles Zufall sei und man nie davor sicher sein könnte, sich irgendwo zu verlieben. Der einzig interessante Gedanke im ganzen Artikel war die Idee, dass allein der erste Blick über das Verlieben entscheidet und beim ersten Treffen dann nur noch ausgehandelt wird, ob man sich auf die Gefühle einlassen will.

Man hätte das auch etwas tiefergehender schreiben können.

Zunächst hätte man darauf hinweisen können, dass die Vorstellung, es gäbe da draußen einen Menschen, der perfekt zu mir passen würde und mich auf Lebenszeit glücklich machen würde, eine Prinzessinnenvorstellung ist, die es leider in unser alltägliches Beziehungsrepertoire geschafft hat. Irgendjemand hat einmal zu den Beziehungsvorstellungen des modernen Menschen (in etwa) folgendes geschrieben: „Der moderne Mensch ist das einzige Wesen, das etwas so langfristiges wie eine Beziehung an etwas so kurzfristigem und wechselhaftem wie Gefühlen festmacht.“ Diese Erkenntnis hatte er besonders aus dem Vergleich zu den früheren, handfesteren Kriterien der Partnerwahl (Schicht, Einkommen) gewonnen. Diese dürfen im heutigen Zeitalter der Gefühle nur noch äußerst und zufällig versteckt wirksam sein: Niemand kann ohne Verdacht zu erregen, seinen Partner nach rein rationalen Kriterien auswählen.

Es gibt ja auch ganze Industriezweige, die darauf ausgerichtet sind, uns für die Bedeutung der Gefühle in Beziehungen zu sensibilisieren: Die gesamte Unterhaltungsindustrie. In fast jedem Hollywoodstreifen gibt es eine liebevolle Romanze, die nur als Bestätigung der Ausnahme negativ enden darf. In tausenden Popsongs wird über Liebe und Leid geschmachtet. Nicht, dass das alles schlimm wäre. Nur: Wenn sich der moderne Mensch in seinen Beziehungen den Gefühlen überantwortet, muss er auch mit deren Unbeständigkeit leben können. Er darf sich also nicht wundern, wenn er plötzlich eine Verliebtheit einem anderen Menschen gegenüber spürt, die er in seiner festen Beziehung verständlicherweise nicht permament fühlt.

Wie er damit umgeht, ist die wesentliche Frage. Wenn er, wie die meisten Menschen, das Gefühl des Verliebtseins als Voraussetzung all seiner Beziehungen definiert, wird seine Beziehung fast automatisch ins Wanken geraten: Wie kann es sein, dass ich mich verliebe, wo ich doch die Frau meines Lebens gefunden habe und glücklich bin? An diesem Punkt kommt es traditionell zum Widerstreit der Vergangenheit mit der Moderne: Alle rationalen Kriterien werden für die bestehende Beziehung angeführt und die allermeisten emotionalen Herzensgründe werden für das Neue, das Unbekannte sprechen.

Diesen Nebel könnte nun, da wir uns ja noch in einem Neon-Artikel befinden, nur eine Psychologin auflösen. Diesmal wäre es Eva-Maria Zurholst, die diesem Phänomen quasi ein ganzes Buch gewidmet hat: „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest.“ Ihre aus der eigenen Lebensgeschichte gewonnene Grundthese lautet: Man kann sich besonders gut in einer Beziehung weiterentwickeln, da nahezu jedes Problem sich auf Projektionen oder Verletzungen aus der Vergangenheit zurückführen lässt. Wenn man sich nun in einer festen Beziehung zu jemand anderem hingezogen fühlt, dann fehlt zunächst einmal etwas in der eigenen Beziehung. Ihre spannnende Vermutung: Vielleicht hat man sich selbst zu einem gewissen Teil aus der Beziehung herausgenommen, hat sich und seine Bedürfnisse möglicherweise selbst vernachlässigt. Anhand dieses Krisensymptoms könnte man an seiner eigenen Beziehung weiterarbeiten: Sich selbst in seinen Bedürfnissen besser kennenzulernen und diese wieder stärker einzubringen. Aus ihrer Sicht sind sehr viele Trennungen unnötig, da sie das Problem nur kurzfristig lösen und ähnliche Probleme in der nächsten Beziehung wieder auftreten werden. Es gibt also nicht die bessere, perfekte Frau irgendwo da draußen, sondern nur das bessere, liebende Ich.

Nur wie soll man das akzeptieren in einer Welt, die auf die absolute Bedürfnisbefriedigung und Bedürfnispassung ausgelegt ist. Eine Welt, in der es nur ein kleiner Schritt von der allgegenwärtigen Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zur Konkurrenz auf dem Beziehungsmarkt ist. Eine Welt, die auf den ständigen Vergleich, das ewige Suchen nach dem am besten Passenden angelegt ist. In dieser Welt soll Ich das Problem sein? Das kann ich doch nicht glauben, diese Erkenntnis lässt sich doch hinauszögern. Es gibt noch so viele Frauen, da draußen – eine muss doch die Richtige sein.