Überall wird heute groß getitelt: “Merkel stellt den Atomausstieg in Frage.” Sicherlich äußert sie sich skeptisch, besonders auch aufgrund der ersten Abschaltung eines Kraftwerks in diesem Jahr. Aber nicht Merkel stellt den Ausstieg in Frage, sondern die Medien. Sie verbreiten und verstärken die Wirkung einer kleinen Nebenaussage der Kanzlerin so übermaßig in ihren Überschriften, dass möglicherweise wirklich ein Diskurs und eine In-Frage-Stellung daraus entsteht. Die ARD, in der das Interview erschien, titelte noch so “Merkel will einen “ausgewogenen Mix”“. Lediglich in einer Unterüberschrift tauchte der Atomausstieg auf. Nun ist fraglich, welche Zeitung oder Nachrichtenagentur zuerst reagierte und den Atomausstieg zur Hauptüberschrift machte. Das passt bei den meisten Artikeln zwar überhaupt nicht zum Thema, aber erzeugt doch Aufmerksamkeit und problematisiert den Atomausstieg. Vermutlich waren es eher die konservativen Medien, denen der Ausstieg in diesem Jahr ein Dorn im Auge ist.
Die Verbindung von Öl und Kernkraft unter dem Deckmantel “Energie” ist für die Kanzlerin auch wenig ruhmreich. SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber sagte der “Berliner Zeitung” beispielsweise: “Wer die Lieferengpässe bei Öl heranzieht, um die Kernenergie zu propagieren, ist nicht in der Lage, das Thema Energieversorgung intellektuell zu erfassen.” Eine solche Diskursaufforderung, die durch die Kanzlerin den Medien ins Ohr geflüstert und durch die Medien laut ausgesprochen wurde, lässt sich nur am Anfang mit dem Argument der unlogischen Verknüpfung ablehnen. Wenn der Diskurs auf den Atomausstieg schwenken sollte, wird die absurde Entstehungsgeschichte vergessen. Die FAZ wird’s schon leisten. Die Aussagen der Opposition finden sich bei ihr beispielsweise gar nicht.