Das Meer war immer da: Wenn ich aufstand rauschte es schon, wenn ich schlafen ging, rauschte es noch. Nicht dass ich dem Meer irgendetwas bedeutet hätte. Ich glaube, es hätte dies sowieso getan. Aber manchmal hatte ich doch das Gefühl, wir hätten ein tiefere Verbindung.
Die Bucht des Zeltplatzes bestand nur aus Felsen, in die zur Verbesserung der Badequalität (wahrscheinlich für den zweiten Stern) immerhin zwei Metallleitern eingelassen waren. Der Wellengang war aber immer so stark, dass er die Leitern überspülte. Das hatte zur Folge, dass man die Felsen oft auch näher kennenlernte und sie kleine Souvenire in Form von Wunden hinterließen, die man aber erst Tage später entdecken konnte. Es gab Tage, da konnte die Mehrheit von uns (also zwei) kaum noch laufen.
Aber am zweiten Tag ahnten wir das noch nicht und schwammen frohgemut über die Bucht zu einem kleinen Kiesstrand. Vor diesem Strand lag eine kleine baumbewachsene Felseninsel, die zunächst unzugänglich und damit auch herausfordernd erschien. Auf dem Rückweg entdeckte ich endlich eine Stelle an der ein wenig oberhalb der Wasseroberfläche ein Seil zum weiteren Hochklettern befestigt war. Unglücklicherweise war der Wellengang recht stark, so dass man diese höhergelegene Stelle nur schwer erreichen konnte. Ich schwamm trotzdem heran und versuchte an den Felsen halt zu finden. Mit den Händen konnte ich mich gerade so festklammern, mit den Füßen suchte ich noch halt. So hing ich dort einen Moment und krallte mich mit letzter Kraft an den Felsen. Und nun passierte es. Gerade als ich dachte, ich könnte mich nicht mehr halten, kam das Meer zurück und hob mich (fast zärtlich) genau so hoch, dass ich hinauf klettern konnte. Da dachte ich zum ersten Mal über unsere innige Verbindung nach. Das Meer und ich. Ach, was hatten wir uns damals gestritten auf der Fähre nach Finnland, aber nun endlich die langersehnte Versöhnung.
Das zweite Mal war zugegebenermaßen ein wenig anders, aber ich erzähle es der Vollständigkeit halber auch. Wir waren in der kleinen Hafenstadt Lerici und aßen endlich mal italienisches Eis. Entgegen meiner sonstigen Vorlieben, beschloss ich diesmal Schokoladeneis zu probieren. Es war heiß, die Sonne knallte und das Eis schmolz. Und dann passierte es: Ein schwarzer Schokotropfen fiel unerwarteterweise auf meine Hose hinab. Kurzes Wischen half nichts mehr, es war zu spät. Angetrieben von dem diffusen Glauben, das es nach dem Eis zu spät sein würde, lief ich zum Meer und wollte ihn sofort auswaschen. Dort war eine Steintreppe die fast bis ins Meer hinab reichte, aber nur fast. Ich beugte mich hinab und versuchte mit meiner Hand das rettende Wasser zu erreichen. Aussichtslos, es war zu tief. Enttäuscht wollte ich mich schon zurückziehen, als das Meer mir wieder entgegenkam und (fast wissend um die Bedeutung) meine Hand umspülte, so dass ich den dunklen Schokoladenfleck auswaschen konnte. So wurden das Meer und ich Freunde.
Aber nur bis zu dem Zeitpunkt als ich übermütig glaubte, es überlisten zu können und triumphierend auf der gischtumspülten Leiter stand. Solange bis es mir mit einer unerwarteten seitlichen Welle die Beine wegzog. Aber es hatte recht: So etwas macht man ja auch unter Freunden nicht.