Anfangs waren wir sehr aufgeregt beim Kinohopping. Wir glaubten, das Personal würde besonders auf uns achten, würde uns wahrnehmen. Es dauerte lange bis wir unsere Unsichtbarkeit erkannten.
1. Beim zweiten Mal beispielsweise hatten wir Tickets für eine spätere Vorstellung genommen, um ein Alibi dafür zu haben, später noch im Kino zu sein. Normalerweise schauten die Kontrolleure nicht auf die Zeit des Films. Diesmal schon. Wir taten sehr überrascht und ließen uns ein neues Ticket ausstellen. Wir kamen rein, hatten aber unsere Anonymität verloren, unsere Gesichter hatten die Masse der verschwommenen Visagen verlassen.
Wir wechselten ein wenig vorsichtiger. Alles klappte. Ein Problem ist allerdings, dass die Säle nach den Filmen immer sauber gemacht werden. Wir setzten uns in einen Saal, der schon sauber aussah. Hinter uns noch ein Pärchen, das Licht war noch an. Die Saubermachtruppe erscheint. Wir versinken in unseren Sesseln, drehen uns nicht um. Einer macht einen Scherz mit dem Pärchen und meint: “Habt ihr denn überhaupt bezahlt, wir haben euch gar nicht gesehen.” Wir gehen, den Blick zu Boden gewandt, hinaus. Ich erreiche die Tür, öffne sie und bin frei. Schnell und froh sprinte ich die Treppe hinab, drehe mich noch einmal nach F. um. Ich sehe wie er auf der Türschwelle stehenbleibt, irgendetwas sagt und zurück geht. Sie haben ihn, denke ich, panisch.
Der wichtigste Rückzugspunkt war am Anfang immer die Toilette. Dort konnte man aus dem einen Kino hingehen und in ein anderes wieder zurückgehen. In einer Kabine harrte ich erstmal aus und grübelte, was ich machen könnte. Zusätzlich muss ich an dieser Stelle erwähnen, dass F. immer Knabbereien und Getränke mit hinein schmuggelt. Wir hatten es uns im Kino gerade bequem gemacht, ich hatte Erdnüsse geöffnet, er ein Bier aufgemacht.
Nach einer Weile kam er wieder – ohne Handschellen. Ihm waren noch die Erdnüsse eingefallen als er hinausging. Abstruserweise hatte er sie noch holen wollen. Glücklicherweise hatte er folgenden Satz gesagt, über den sich die Putzgruppe fast totlachte: “Norbert hat seine Nüsse vergessen.” Darüber vergaßen sie, unsere Identität und die Tatsache, dass auch Erdnüsse im Kino kaum erlaubt sind.
2. Beim allerersten Mal hatten wir gerade einen Film wie “Mission Impossible” gesehen. Es war gerade das Übergangsstadium von den frühen Filmen zu den späten Filmen. Wir trafen uns in einer Toilettenkabine und wollten unseren weiteren Weg festlegen. Da kamen einige Leute.
F. war noch aufgeregter als ich. Ich stellte mich auf das Klo, damit niemand von außen erkennen konnte, dass wir zu zweit in einer Kabine waren. Dann wollten wir uns besprechen. Ich gab den Plan vor: Kino 6, nacheinander. Aber F. war durch Mission Impossible so geprägt, dass er unbedingt einen Plan B haben wollte, falls einer geschnappt wird. Das bräuchten wir nicht, meinte ich, wir treffen uns dann doch einfach draußen. Das genügte ihm nicht: “Das ist kein Plan B”. Ich hatte keine Lust, mir unnötigerweise irgendetwas auszudenken. So wiederholte ich einfach, das bisher Gesagte. So standen wir in der kleinen Klokabine und wiederholten uns immer wieder. F. wurde immer aufgeregter, er wollte unbedingt einen Plan B, sonst wollte er nicht losgehen. Er schüttelte mich verzweifelt und rief: “Wir brauchen einen zweiten Plan, sonst sind wir verloren.” Es war so abstrus, dass ich zu lachen begann. Ich konnte auch nicht mehr aufhören. Jedesmal, wenn er mit verzweifelter Mine “Plan B” sagte, musste ich losprusten. Das machte ihn nur verzweifelter. Auf dieser Toilette hatte ich meinen ersten echten Lachkrampf. Wie wir es dann letztendlich vom Klo weg – ohne Plan B – geschafft haben, weiß ich nicht mehr. Wir brauchten den nicht vorhandenen Plan glücklicherweise nicht.