Es ist sehr erstaunlich, dass es in Deutschland einen Sozialneid nach unten anstatt nach oben gibt. Meine Eltern haben mir das schön verdeutlicht. Der Sozialstaat könne nicht mehr alles tragen und müsse deshalb abgebaut werden, Hartz 4 müsse auch verschärft werden. Am präsentesten waren die Beispiele der Sozialschmarotzer: Es kann nicht sein, dass ein Pärchen mit Kind gemeinsam mehr Geld verdient, als wenn einer von beiden arbeiten geht. Außerdem bekommen sie ja auch noch die Kinderbetreuung und die Miete bezahlt.
Warum setzen sich solche marginalen Beispiele fest, warum werden sie durch die Medien (in diesem Fall ein Artikel in der Mitteldeutschen Zeitung) so wirksam verbreitet? Warum setzt sich nicht Ackermann fest, warum nicht der steuerhinterziehende Mittelständler? Warum soll der Sozialstaat auf den Schultern der Ärmeren “saniert”, also beerdigt werden?
Meine Eltern meinten dazu nur, das sei doch Sache der Unternehmen, wieviel Geld sie dem Ackermann zahlen und außerdem wären die Einnahmen, die es beispielsweise aus der (so schrecklich benannten) Reichensteuer gebe, minimal. Das wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber das “Motivieren” der bisherigen Schmarotzer, das wäre effektiv.
Das habe ich jetzt ein wenig zugespitzt – aber diese Argumentation war präsent und lag der Diskussion zu Grunde. Wahrscheinlich ist die Befürchtung, dass die Schmarotzer den eigenen Lebensstandard verringern könnten, dass sie einem über den Umweg des Staates auch auf der eigenen Tasche liegen, dass man mehr Geld hätte, wenn es sie nicht gebe. Im Gegenzug lassen sich der Steuerhinterzieher oder der Unternehmer nicht gut instrumentalisieren, sie sind ungreifbar. Das würde man ja als Mittelständler auch gerne machen, wenn sich denn die Chance böte. Außerdem hat man ja die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dorthin aufzusteigen. Wieso sollte man sich dann auch noch Steine in den Weg zu legen?
Die soziale Diskussion funktioniert also nach dem so bekannten Fahrradprinzip: Nach oben buckeln und nach unten treten.