Ich ertrage die Berichterstattung über Griechenland nicht mehr. Ein Land wird in den Ruin geschickt, die Menschen in die Verarmung getrieben. Und das alles vor unseren Augen – in Europa! Einem Raum, der sich als aufgeklärt, als modern und zivilisiert versteht. Es ist nicht einmal ein Krieg, der all dies auslöst, es ist einfach nur eine Ideologie: Austerität. Es soll ein Exempel statuiert werden, dass niemand von dieser Doktrin abweicht. Es ist die Angst der Mächtigen in Europa, dass sonst überall in Europa alternative Ideen Raum bekommen könnten. Und Deutschland ist der wesentliche Antreiber dieser europäischen Katastrophe!

Im historischen Rückblick erscheint es oft einfach zu sagen, die Menschen in einer bestimmten Zeit z.B. im Nationalsozialismus waren verblendet. Die kriegstreibende Presse wird dann analysiert und die aufeinander aufbauenden Entwicklungen werden geschildert, die dann – wir wissen es ja schon – zur Katastrophe führen. Aber was, wenn man mittendrin ist in der Verblendung? Was kann man tun?

Es ist ja nicht so, dass die Griechen – wie damals die Juden – innerhalb Deutschlands ausgegrenzt und mit Verachtung behandelt würden. Unser Leben hier geht einfach unbeeinträchtigt weiter. In 2000 Kilometer Entfernung wird gehungert, weil unsere Regierung dies beschließt, aber ich gehe hier ins Schwimmbad oder Eisessen.

Diese unglaubliche Diskrepanz – zwischen den weit entfernten Auswirkungen politischer Entscheidungen und meinem persönlichen Alltag – ist bei vielen Entscheidungen der Politik der Fall, am deutlichsten wohl bei Kriegseinsätzen wie dem Kosovo-Krieg. Aber in der aktuellen Griechenland-Politik wird dies zumindest für mich so unglaublich offensichtlich: Die Toten, das Hungern und das Leiden, das ein Krieg auslöst, kann ich mir – so schrecklich es ist – real und plastisch vorstellen. Aber das Leiden, das aufgrund einer radikal durchgedrückten Ideologie durch die Regierung meines aufgeklärten Landes entsteht, ist für mich kaum vorstellbar – gerade weil es so grundlos ist.

Ich würde ja am liebsten auf die Straße gehen und für eine andere Europapolitik demonstrieren. Aber selbst in meinem studierten Umfeld ist es den Menschen entweder egal oder sie glauben sogar an die weitverbreitete mediale Erzählung der „guten Deutschen“ und der „bösen Griechen“. Wie sollte man da eine breite Mehrheit der Menschen erreichen?

Eine Mehrheit, die durch die entsolidarisierende Politik der letzten Jahrzehnte enorme Angst vor dem sozialen Abstieg bekommen hat und sich deshalb regelmäßig in die Wut auf imaginierte schmarotzende Personengruppen hineintreiben lässt. Lange Zeit waren das die Hartz-4-Empfänger, jetzt sind es außerdem die „faulen Griechen“ und die „kriminellen Flüchtlinge“.

Eine Mehrheit, die durch die vielen gleichgerichtet berichtenden Medien konstant desinformiert wird: Von Medien, die Live-Ticker zu den Griechenland Verhandlungen schalten – als sei der Untergang eines Landes und vielleicht sogar der europäischen Idee kommentierbar wie ein Fußballspiel. Von Medien, die die absurd falschen Sprechblasen von Politikern wieder und wieder unhinterfragt wiederholen, nur weil es zur herrschenden Erzählung der Rettung Griechenlands passt. Ich kann es nicht mehr hören und nicht mehr ertragen.

Vielleicht sollte ich einfach aufhören, kritische Artikel oder Seiten zu lesen und anfangen nur noch die Regierungserklärungen bzw. überregionalen Zeitungen zu studieren. Oder mich auf den beliebten „Das-versteht-doch-eh-keiner-mehr“-Standpunkt zurückziehen. Vielleicht kann ich so meine schizophrene Existenz zwischen dem, was in den Verhandlungen mit Griechenland „wirklich“ zu passieren scheint, und dem, wie es in Deutschland politisch wie medial dargestellt wird, endlich beenden.

(Bild: Bildblog)