Es gibt Abende, da häufen sich die merkwürdigen Erlebnisse und fügen sich zu einer Kette der Skurrilitäten zusammen. Normalerweise würde ich hier keinen Abend beschreiben, aber da dieser gestrige so anders war, mache ich es doch einmal.
Es war kein Rendezvous – unter diesem Stern stand es. Wir wollten uns einfach mal so treffen. Dumm nur, dass ich ihre Einladung erst zu spät lese und somit die Ska-Band in der Rose schon aufgehört hat. Zugegebenermaßen bin ich kein großer Ska-Fan, aber letztendlich hatte ich mich durchgerungen und wollte es mir mal anschauen. Die Rose jedenfalls war um 1 Uhr schon leer. Sie war noch da und die Band. Wir unterhalten uns ein Weilchen, ich versuche mit dem Saxofonisten auf Französisch zu reden und ihnen zu entlocken, ob sie CDs verkaufen. Es endet Englisch. So weit so gut. Wir sind im Gehen begriffen, ich verschwinde kurz wohin. Als ich wiederkomme hat sie zwei Mitglieder der Band an der Backe. Zunächst sehe ich das nicht so und freue mich über einen kurzen Smalltalk. Leider verpassen wir (besser sie) den Punkt zu gehen, ich bleibe gezwungenermaßen länger. Wir gehen in den Bandraum der Rose und lernen alle kennen. Sie wollen noch irgendwohin gehen und sind sehr unterschiedlich. Der Saxofonist, der schon recht nett aussah, fängt eine intimere Unterhaltung mit ihr an. Ich fühle mich fehl am Platze, die Situation wird aufgelöst, da alle gehen wollen. Vorm Johannistor dieselbe Situation. Doch diesmal gehen alle anderen Bandmitglieder ins Bett bis auf den Saxofonisten, der bei uns stehen bleibt. Unverhohlen flirtet er und will sie mit ins Titty Twister oder ins Hotel nehmen. Alibihalber sagt er immer, er nimmt mich auch mit. Er wird mich innerlich gehasst haben, dafür, dass ich die ganze Zeit dastand wie ihre Amme. Ich jedenfalls wollte nach Hause gehen, diese ätzende Situation auflösen und die beiden allein lassen. In dem Moment zieht sie allerdings ihre Augenbraue leicht hoch und deutet an, dass sie doch nicht mit dem gutaussehenden Saxofonisten ins Hotel will. Langsam resignierte er, zwischendurch behauptete er, er sei schwul, um die Spannung herauszunehmen. In seinem letzten Aufbäumen, sagt er dann als getarnte Wahrheit, dass sie doch mitkommen könnte, und im Hotelzimmer guten Sex die ganze Nacht lang haben könnte. Dann küsst er mich ersatzweise mit einem Zungenkuss aufs Ohr und beginnt zu gehen. Das zieht sich eine viertel Stunde. Sie erzählt mir währenddessen von einem traumatischen Erlebnis mit dem bekannten Musiker Wolfram H., der sie und eine Freundin bis spät in die Nacht mit Mitleidheischendem zugetextet habe. Sie waren sogar zu dritt bei dieser Freundin zu Hause. Letztendlich wurden sie ihn erst um vier los, indem sie ihn in ein Taxi setzten. Sie dankt mir, dass ich geblieben bin. Sie fragt, ob denn Männer immer nur an das Eine denken könnten. Ich sage ja. Sie sagt, dann geht sie wohl jetzt besser.
Nach etlichem schweigendem Herumüberlegen gehen wir doch ins Titty Twister. Wenn der Saxofonist das gewusst hätte. Es ist um halb vier und voll im Titty Twister. Meine Alkoholschallgrenze war schon durchbrochen, ihre ebenso, wir bestellen Fruchtsäfte. Der Ort ist auf jeden Fall wunderbar geeignet für schöne Beobachtungen. Die Frauen auf der Bühne waren gelangeweilt und tanzten hauptsächlich für sich. Ab und an drängten sie sich aber brutal in die Wahrnehmung der an der Theke sitzenden und fassten Dollars ab. Lediglich eine Tänzerin schien Spaß zu haben, sie wurde auch mit den meisten Private Dances belohnt. Die meisten Mäner konnten danach nicht mehr laufen. Die Beobachtungen hielten bis um fünf an. Dann setzte sich ein dicker, riesiger Mann mit schwarzem Bart zu uns. Ab und an schaute er auf sie und schien zu taxieren, wieviel er wohl bieten müsste, damit sie zu ihm rüberkäme. Zusätzlich hatte er den Tick, die Zunge unbewusst herauszustecken. Dann beugte er sich rüber und fragte, wie wir das denn fänden hier. Ich sagte es ihm in meinem liberalsten Ton, wollte ja nicht als Spielverderber erscheinen. Er murmelte etwas davon, dass es doch schöneres gäbe und das sehr unästhetisch sei. Dann sagte er den bemerkenswerten Satz: „Ich bin der Architekt dieses Ladens und hätte ich gewusst, was daraus wird, hättte ich es nie gebaut.“ Skurriler Spinner, denke ich. Warum bist du dann hier, frage ich. Für einen Absacker. „Kennt ihr das Gatto Bello“, fragt der, „das ist auch von mir.“ Ich sage unbedachterweise: „Dort ist aber genauso“ und meine das Publikum. Er schaut mich pikiert an und fragt, die für 5 Uhr morgens und für einen solchen Kerl untypische Frage: „Warum sagst du das?“ Natürlich hatte ich es bloss gesagt, um es abzuurteilen, also rudere ich ertappt zurück. Mittlerweile war das Gespräch recht interessant. Sein Schlüsselbund war größer als ein Fußball: Er ist kein Spinner. Allerdings hatten wir schon als er sich setzte Anzeichen des Gehens abgegeben, denen wir nun folgen mussten. Also gingen wir. Draußen vorm Titty Twister versuchen wir uns zu verabschieden. Ein Typ mit orangen Schuhen trkelt direkt auf uns zu und sagt, dass wir keine Angst vor ihm haben brauchen, er sei nur besoffen und eigentlich ein lieber Kerl. Ich glaube ihm, sage aber, dass wir uns gerade verabschieden wollten. OK, OK, sagt er, aber vorher wolle er uns noch ein Werbegeschenk geben. Gespannt blicken wir auf seine Tasche, aus der er ein 5-Meter-Maßband holt. Es ist mittlerweile 5:30 Uhr. Sie lehnt es ab, weil in ihrem Zimmer nichts so lang sei. Ich nehme es als Souvenir des Abends an. Er zieht ab, nicht ohne uns nochmal zu loben für unsere Offenheit. „Und wenn ihr orangene oder gelbe Schuhe braucht, dann wisst ihr an wen ihr euch wendet.“ Wir nicken. Ich bin hundemüde und friere. Ich sage: Der Abend war schön, aber ich muss nun gehen. Und lache. Ein besserer Abschied findet sie als mein vorheriges einfaches „Ciao“. Finde ich auch. Wir gehen auseinander und schlafen.