Am Sonnabend wollte ich – wie schon erwähnt – nach Fulda. Praktischerweise hatte der Journalistenverband Mitfahrgelegenheiten organisiert. Leider erst ab Erfurt. Meine sehr früh begonnene Reise endete leider schon in Weimar, da dort ein “Personenschaden” aufgetreten war und die Strecke Erfurt – Weimar komplett gesperrt werden musste.
Das Wort “Personenschaden” sollte auch einmal semantisch untersucht werden: Meint die Bahn einen Schaden an ihren Zügen durch auf den Gleisen befindliche Personen oder meint die Bahn den durch ihren Zug ausgelösten Schaden an einer Person. Außerdem fragte ich mich, wann ich wohl aufstehen würde, an dem Tag an dem ich Selbstmord begehen würde (7:00 Uhr früh). Wäre das ein ruhiger Tag, würde ich ausschlafen? Wäre alles eiskalt geplant, auch welchen Zug ich nehmen würde? Aber ich habe mal gehört, dass Selbstmord nur in den seltensten Fällen im Affekt geschieht.
Meine Mitfahrgelegenheit war unerreichbar. Nach einer Weile setzten sich aber die ICEs in Bewegung, die in Weimar schon seit einer Stunde standen. Spontan beschloss ich als Ausgleich, einfach ICE zu fahren, da ich dann immer noch pünktlich ankäme und nicht mal umsteigen müsste. Ich überlegte mir, dass es auch sehr unwahrscheinlich und wirtschaftlich nicht rentabel sei, wenn die Schaffner in diesem verspäteten Zug kontrollieren würden. Sie müssten ja überall nur Gutscheine ausstellen. Das stimmte auch lange Zeit. So konnte ich darüber philosophieren, welche Einstiegsstation ich denn angeben würde, wenn doch noch ein Schaffner kommen würde. Logischerweise sank meine Bereitschaft die Wahrheit zu sagen, je weiter wir vorankamen. Zehn Minuten bevor wir ankamen, erschien dann doch noch der Schaffner. Ich entschied mich spontan für Erfurt, obwohl ich auch Eisenach hätte nehmen können. In Weimar selbst hatte ich im Reisezentrum noch den Komplett-Preis erfragt (33,80 Euro). Nun präsentierte mir der Schaffner ironischerweise einen teureren Preis vom gelogenen Erfurt als vom realen Weimar (34,30 Euro). Leider konnte ich das nicht so recht thematisieren.
Zudem hatte ich bereits ein anderes Problem: Ich wollte mit EC-Karte bezahlen. Der Schaffner fragte mich spontan, was ich mit dieser Karte wolle, sie werde schon seit Ewigkeiten nicht mehr akzeptiert. Kreditkarte oder Bargeld? Ich hatte 20 Euro dabei. Er begann noch einmal an seinem Gerät zu rechnen und sagte dann: “25,30 Euro ist das letzte Angebot, was ich ihnen machen kann.” Ich war kurzzeitig verblüfft, ob des scheinbar willkürlichen Unterschieds von acht Euro. (Heute habe ich herausgefunden warum: Er hat mir ein Ticket von Eisenach nach Fulda ausgestellt!)
Aber auch das Angebot war ja witzlos, wo sollte ich fünf Euro herzaubern. Blieb die letzte Variante: 40 Euro Strafgebühr für fahren ohne gültigen Fahrschein. Abgerechnet wird dabei über den Ausweis. Wir waren noch fünf Minuten von Fulda entfernt. Ich hatte gerade die Ausweglosigkeit eingesehen, als plötzlich ein Mann hinter mir, der die sinnlose Situation beobachtet hatte, mir einen Fünf-Euro-Schein hinlegte und sagte, er sei heute spendabel. Dankbar und demütig nahm ich das Angebot an. Eigentlich hätte ich mich freuen können, aber das Gefühl war ein anderes: Ich fühlte mich so bedürftig, so von der Hilfe anderer abhängig, so gedemütigt von diesem Almosen. Ich konnte diese unerwartete Geste nicht ausgleichen, auch weil sie so herablassend getätigt wurde. Erleichtert stieg ich letztendlich in Fulda aus und beschloss eine Hasstirade auf die Bahnentscheidung zur EC-Karte zu schreiben. Wurde leider etwas neutraler, aber Hass schlägt ja eh bloß auf den eigenen Magen.