Es gibt Menschen, die haben Angst davor, allein zu sein und nichts zu tun. Sie beschäftigen sich dann unablässig, rennen von einem Termin zum nächsten, müssen zwischendurch noch schnell das erledigen, weil sie dann schon wieder… Kurzum: Sie dröhnen sich mit Tätigkeiten zu, auf dass sie ihre innere Leere nicht mehr spüren. Für die Beschreibung dieser Menschen habe ich heute ein passendes Maß entdeckt. Es ist aus der Physik entlehnt und ein dimensionsloses Geschwindigkeitsmaß: Die Mach-Zahl. Je mehr sich Menschen mit Tätigkeiten und Terminen zudröhnen, desto höher ist ihre Mach-Geschwindigkeit. Mach 4 beispielsweise steht symbolisch für einen sehr hohen Wert und konkret physikalisch für eine Ablenkungsgeschwindigkeit (bei normaler Außentemperatur) von etwa 5000km/h. Man könnte eine solche Geschwindigkeit sozial übersetzen als das Tempo, in dem nicht eine Minute Zeit zwischen den jeweiligen Tätigkeiten bleibt.
Der Vorteil der hohen Mach-Geschwindigkeit liegt auf der Hand: Man spürt die hinter den Tätigkeiten liegende Leere und Einsamkeit nicht mehr. Allerdings verbrennt bei dieser Geschwindigkeit auch die individuell auszugestaltende Fähigkeit, auf die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu achten. Stattdessen entwickelt man eine extreme Abhängigkeit von seiner Umwelt. Man berauscht sich ja an der eigenen Organisationsfähigkeit, möglichst viele Stationen auf dieser Hochgeschwindigkeitsreise einzubauen. Wenn jedoch eine Station in diesem Kosmos ausfällt, fliegt man ins Nichts – da, wo vorher noch Sinn durch Treffen, Sinn durch Tun war, wartet nun die gähnende Leere des eigenen vernachlässigten Selbst. Es gibt dann auch keine Not-Tätigkeit, die in dieser hohen Mach-Geschwindigkeit ausführbar wäre. Ein Abbremsen kommt nicht in Frage, da die Reise ja gleich auch gleich weiter geht. Die erschreckende Erfahrung des einsetzenden Falls, soweit man im Weltraum überhaupt von Fall sprechen kann, führt dann jedoch nicht zur Verringerung der Mach-Geschwindigkeit, sondern im Gegenteil zu einer weiteren Erhöhung, um solche Momente nie wieder zu erleben. Es werden menschliche Nothalte eingerichtet, es werden Optionen optimiert und parallel potenziert.
In unserer Gesellschaft ist Tun ja auch etwas Wichtiges. Menschen mit hoher Mach-Geschwindigkeit sind angesehen und geschätzt – sie bringen unsere Gesellschaft voran. Nur selten werden sie als Fall für den Psychiater betrachtet – ganz im Gegensatz zu Menschen, die Müßiggang pflegen. Insofern sind die Mach-Menschen eine allumfassende Bereicherung für unsere Gesellschaft: Solange sie funktionieren, leisten sie etwas für unsere Gesellschaft, und für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie nicht mehr funktionieren, stellen sie noch immer eine solide sprudelnde Quelle für Psychologen und Therapeuten aller Art dar.
Berlin ist übrigens das Mekka der Mach-Junkies.