1. Man hat sonst keine andere. Sicherlich könnte man immer eine Kamera nebenher mitlaufen lassen und sich dann im Nachhinein vergewissern, ob denn, was man mitbekommen hat, auch dem “Objektiven” entsprach. Meine These allerdings: Das wäre anstrengend, hätte verzögerte Reaktionen zur Folge (ein bis zwei Tage) und würde auch nicht helfen (da man selbst Videomaterial subjetiv filtert, also das gleiche Problem erneut hat).
2. Ihr nicht zu vertrauen, bedeutet sich selbst nicht zu vertrauen, an sich selbst zu zweifeln. Jeder Mensch hat eine Wahrnehmungsverzerrung, die wichtig für ihn ist. Problematisch wird es nur, wenn diese Verzerrung überhaupt nicht mehr durch Andere korrigiert werden kann, weil sie so entfernt von deren Verzerrung ist. Man denke an die schöne Geschichte von Peter Bichsel “Ein Tisch ist ein Tisch”, in der ein alter Mann sich eine neue Sprache ausdenkt. Der letzte Absatz dort: “Aber eine lustige Geschichte ist das nicht. Sie hat traurig angefangen und hört traurig auf. Der alte Mann im grauen Mantel konnte die Leute nicht mehr verstehen, das war nicht so schlimm. Viel schlimmer war, sie konnten ihn nicht mehr verstehen. Und deshalb sagte er nichts mehr.”
Trotz dieser extremen Variante ist eine Verzerrung meines Erachtens nach sehr wichtig. Die eigene Wahrnehmung macht uns erst zu dem, was wir sind oder besser: Sie drückt das aus, was wir in dem jeweiligen Moment sind (zumeist ein verworrener Klumpen aus früheren Erfahrungen, momentenen Gefühlen und zukünftigen Gedanken) und bestätigt uns und sich dadurch auch. Wenn dort ein Vertrauensverlust eintritt, ist das gefährlich. Das führt nirgendwohin, da es ein Korrektiv nicht geben kann, da jede Wahrnehmung eingefärbt ist. Es führt eher zu konstanten Selbstzweifeln: War das denn eigentlich wirklich so, war meine Reaktion angemessen, bilde ich mir nicht zuviel ein, usw…
Wie langweilig und sinnlos wäre die Gegenwart, wenn wir sie nicht so schön mit unseren Gedanken und Gefühlen filtern würden; wenn man nichts mehr empfinden würde, wenn man etwas sieht; wenn man bestimmte Augenblicke und Sätze nicht herausheben würde aus dem Einheitsbrei des Passierenden. Das Besondere würde verloren gehen, denn es liegt nur im Auge des Betrachters.
Und es ist immer sinnvoll, wie man etwas wahrnimmt, denn es entspringt einem selbst. Sicherlich will man manchmal auch anders wahrnehmen, weil die abstruse Idee einer reineren Wahrnehmung im Raum steht oder man das Gefühl hat, dass die eigenen Filter behindern.
Die eigene Wahrnehmung anzuerkennen, heißt deshalb nicht, sie ausschließlich zu setzen, es sollte immer ein Spalt für Empathie und eine andere Perspektive bleiben. Irgendwo in der Schnittmenge zweier Wahrnehmungen liegt das nutzlose Wahre, nutzlos, weil es niemandem etwas bedeutet. Sicherlich tritt es im Streit als strahlender Sieger hervor, zu dem beide aufblicken, aber in der verzerrten Spiegelung sollten sie lieber sich selbst entdecken und akzeptieren, als darauf zu hoffen irgendwann selbst dort zu strahlen.