„Wie Studien herausgefunden haben, ist das Verhalten der Frauen weniger kulturell als hormonell geprägt. Der Kognitionspsychologe Basil Cocker-Suter konnte in mehreren klinischen Experimenten nachweisen, dass Frauen das Hormon Cetycin besitzen. Bisher konnte der Einfluss dieses Hormons nur schwer nachgewiesen werden. Cocker-Suter war nun die Sensation gelungen: Frauen mit einen hohen Cetycin-Spiegel haben signifikant häufiger das Bedürfnis, sich alle zwei Tage die Achseln zu rasieren. Weitere Experimente mit dem neuen Hormon an Männern zeigten zudem, dass Männer, denen das Hormon in die Nase gesprüht wurde, ebenfalls begannen, sich an allen zwei Tagen die Achseln zu rasieren. Cocker-Suter erklärte die erstaunlichen Ergebnisse damit, dass bei Frauen nach der Emanzipation in den siebziger Jahren eine unbewusste Rückbesinnung auf die evolutionär angelegten Rollen stattgefunden habe. Cocker-Suter: „Im Prinzip sind wir festgelegt auf unsere Rollen. Es wäre schön, wenn wir lernen könnten, damit umzugehen und gegenseitig davon zu profitieren.“
Eine industrielle Produktion des Hormons ist nicht vorgesehen, auch wenn aus Militärkreisen bereits Interesse signalisiert wurde. Besonders mit Blick auf die demographische Entwicklung der nächsten Jahre, so ein Sprecher, gelte es feministische Fehlentwicklungen in die natürlich festgelegten Bahnen zurückzuführen und somit das weibliche Potential besser auszunutzen.“

So könnte wohl eine Pressemitteilung in der Zukunft aussehen, wenn die Vorstellung einer genetischen Vorherbestimmtheit des Menschen sich weiterhin ausbreitet. Ein schreckliches Beispiel auf dem Weg in eine solche Welt stand heute in der Süddeutschen Zeitung: „Der codierte Mann“ – Manche Eigenarten können Männer nicht ändern, selbst wenn sie es wollten. Ein Gespräch mit der Bestseller-Autorin und Psychologin Susan Pinker über den Mann und seine Natur. Interview: Maxi Leinkauf

Der Inhalt des Interviews lässt sich mit dem Zitat zusammenfassen, das ich dem oben stehenden imaginären Forscher in den Mund gelegt habe: Es ist vieles genetisch festgelegt zwischen Mann und Frau, darum sollten wir uns vielleicht einfach daran gewöhnen.

Die Frage ist aber: Wieso wird immer wieder so revisionistischer Schwachsinn veröffentlicht? Ihre Angst mit Eva Herman in eine Ecke gestellt zu werden ist berechtigt, sie ist nur deren pseudowissenschaftliches Pendant. Sicherlich ist nicht alles kulturell, aber es ist auch nicht alles genetisch. Frau Pinker tappt in die Falle der normativen Kraft des Faktischen, in diesem Falle wohl die genetische Kraft des Faktischen. Wir beobachten etwas in der Gesellschaft und haben auch eine auf wundersame Weise dazu passende Erzählung, dann muss das wohl so evolutionär im Menschen angelegt sein. Männer suchen den Erfolg und würden dafür alles in Kauf nehmen. Immerhin eine kritische Nachfrage gelingt der Interviewerin: Sie kenne viele Männer, bei denen das nicht so sei. Aber dadurch wird die Argumentation von Pinker nicht gestört, sie sei halt die Ausnahme. Bleibt nur die Frage, wie sich wohl die Theorie widerlegen lässt. Am ehesten wohl durch ethnographische Studien (das ist in anderen Gesellschaften anders) und durch Transgender-Forschung (das ist auch in unserer Gesellschaft anders).

Diese archaische Argumentation, die auf der Idee einer natürlichen Rollenverteilung basiert, kann sich wahrscheinlich gegenwärtig wieder verstärkt behaupten, weil sie auf der Tendenz zur neurowissenschaftlichen Erklärung des menschlichen Verhaltens fußt (das ist so, weil es im Gehirn so ist). Das zugrundeliegende Erklärungsmodell nach dem Motto „Wir können gar nicht anders“ wird wohl benötigt, nachdem viele identitätsstiftenden Sicherheiten verloren gegangen sind. Es befriedigt das Bedürfnis nach klarer Orientierung in einer sich rollentheoretisch auflösenden Welt. Nicht dass diese Rollenverständnisse nicht mehr stark wären, aber in der Öffentlichkeit wurden sie zulange in Frage gestellt. Die Argumentation hat somit einen restaurativen Charakter: Die klassische Trennung zwischen Mann und Frau ist natürlich. Die Frau will Familie und Harmonie, der Mann Erfolg. Das sind Vorstellungen aus der Welt der fünfziger Jahre angereichert mit neurowissenschaftlichem Überbau und dem populärwissenschaftlichen Versatzstück einer Krise der Männlichkeit ausgelöst durch die Finanzkrise.

Schade eigentlich, dass die Süddeutsche sowas veröffentlicht, ohne wirklich kritisch nachzufragen. Durch die anbiedernden Fragen wird das ganze zu bloßer Werbung für das jetzt erscheinende Buch.