Ich habe schon häufiger gemerkt, dass ich am Morgen sehr kreativ sein kann. Es ist meist eine erste Wachphase, bei der ich noch nicht ans Aufstehen denken muss. Das kann passieren, wenn ich mal kurz wach werde und von irgendeinem herumschwirrenden Gedanken gepackt werde. Weiterschlafen ist dann in der nächsten Stunde unmöglich, meist ist es auch erst um 6 Uhr früh. Je nachdem, was mich gerade beschäftigt, sind das dann entweder kreative Spielereien oder Gedanken über irgendwelche zukünftigen Situationen (Eintrag folgt noch). Bei ersterem spielt meine Kreativität fast verrückt: Ich kann wunderbar treffende Bilder entwickeln, ganze Exposes durchspielen, abstruse Ideen bis ins Absurditätsnirwana steigern. Und wenn ich mich einmal entschließe, mich doch an den Rechner zu setzen, komme ich mit dem Schreiben meist gar nicht hinterher.

Warum aber ist das so? Meine Vermutung: Weil all die Erwartungen, all die Planungen, all der Alltag noch nicht wach ist – das steht erst mit dem Gedanken ans wirkliche Aufstehen auf, mit dem Entschluss dazu. In der Phase davor steht der Kreativität noch kein Müssen, kein Dürfen, kein Sollen gegenüber. Sie muss sich den Gedankenraum nicht mit Alltagsgedanken teilen. Man befindet sich in einem Grenzzustand: Die Assoziationskraft der Träume ist noch nah, die gedankenbindende Kraft der Wirklichkeit ist noch fern.

Oft ist es mir auch passiert, dass ich dann Assoziationen hatte, die ich im Licht des Tages nicht mehr verstanden habe. Ich freue mich dennoch darüber, weil man nur selten diesen Prozess so schön verfolgen kann: Ganz fest von der Genialität oder Witzigkeit eines Gedanken überzeugt zu sein und diesen dann zwei Stunden später nicht einmal mehr zu verstehen. So etwas dauert sonst Jahre.

Aber etwas Negatives kann diese Phase am Morgen auch haben: Wenn man sie nicht als solche bestehen lässt, sondern beginnt mit anderen Menschen zu kommunizieren oder gar aufzustehen. Man zieht dann aus einer alltagsfreien Phase Schlüsse und Formulierungen, die sich auf den Alltag – besonders auch der Anderen – auswirken. Das Problem ist dabei: Der innere Prozessor zur Wirkungsevaluation ist noch nicht angeschaltet. All die Höflichkeit, all der innere Zurücknahme, all die Rücksicht auf die Gefühle der Anderen ist noch fern. Zum einen benennt man so die Dinge und Beziehungen in ihrem nackten Zustand, reduziert sie auf ihren Kern, entblößt sie all ihrer Gesellschaftsverkleidung. Zum anderen aber – und das geht ebenso mit diesem Zustand einher – nennt man Dinge bei einem Namen, der ihnen jenseits dieses einen Momentes vielleicht gar nicht entspricht. Man legt sie und sich fest. Und das obwohl es in dieser Grenzregion zwischen Nacht und Tag gar nichts Bleibendes, absolut Sicheres geben kann. Das Schwierige ist dann bloß zwischen entblößter Wahrheit und unangemessener Festschreibung zu unterscheiden. Am besten man steht dann gar nicht erst auf.