Vielleicht muss es sie ja wirklich geben, die Selbstüberschätzung der Blogwelt. Vielleicht kann man nur durch die Entwicklung übersteigerter Zukunftsvisionen an Boden gewinnen. Vielleicht kann man ein Land nur dann erobern, wenn man es großspurig als besetzt erklärt und alle alten Herrscher als überkommen und aussterbend. Vielleicht braucht die Blogwelt auch große Visionen, um von dem kleinen abzulenken, was sie bis dato darstellt und produziert. Vielleicht kann man nur wachsen, wenn man weiß wohin.

Vermutlich braucht jede neue Bewegung Euphoriker und Visionäre. Jedenfalls war es nun in der taz so weit, dass Stefan Niggemeier und Katharina Borchert ihre Vision f?r die Zukunft der Blogwelt vorstellen durften. Die Analyse beginnt recht nüchtern und schwenkt dann aber spontan in eine düstere Zukunftsvision um. Immerhin glauben beide nicht, dass die klassischen Medien untergehen werden. Aber sie werden in Anbetracht der Blogwelt an Bedeutung verlieren.
Daher hier noch einmal: Das Blogpublikum ist ein äußerst spezielles. Blogs werden nicht die große Masse erreichen. Die Generation ab 40 wird meines Erachtens nicht mehr anfangen Blogs zu lesen. Außerdem bietet eine Zeitung komprimiert sehr viel mehr Wissen an, als man durch gezieltes Bloglesen aquirieren kann.
Das ganze erinnert mich immer ein wenig an mein Studium. Um genau zu sein an Ulrich Beck. Er war in den 90ern der Populärsoziologe, war in allen Zeitungen, gab Interviews, war in Talkshows. Die Soziologie von Ulrich Beck basiert allerdings nur auf einem Phänomen: Der Überbetonung von Einzelfällen, die Stilisierung einer neuen Ausnahme zu einer zukünftigen Regel. Er fabulierte von der Auflösung der Grenzen des Nationalstaats, sah Menschen eine transnationale Identität entwickeln, nur weil die Rentnerin aus Deutschland nun ihren Winter in Nairobi verbringen könnte. Daneben gibt es ganze Theoriegebäude, in denen die Bedeutung der Umweltbewegungen der 80er Jahre derart überhöht wird, dass man fast gar nicht glauben kann, in welchem schäbigen nationalstaatlich-begrenzten und parteiendemokratie-unterworfenen Stahlgehäuse wir uns momentan befinden.
Diese ganze Überhöhung wird nun auch mit den Blogs betrieben und in zehn Jahren werden wir immer noch die abertausend Funblogs neben den Tagebuchblogs haben und vereinzelt dazwischen ein paar Experten, die sich die Mühe machen, sich abends nach ihrer Arbeit hinzusetzen, Themen zu recherchieren und ihr gesammeltes Wissen niederzuschreiben.