Am Anfang des Jahres gerate ich immer in arge Bedrängnis. Es ist eine Zeit, in der einem ungefragt etliche Menschen, die man meist nur von Ferne kennt, „Gesundes neues Jahr!“ wünschen. Vermutlich bin ich schlecht floskel-sozialisiert, ich kann zumindest mit dieser abgenutzten und unpersönlichen Form der Wertschätzung nicht umgehen.

Früher hatte ich immer Probleme, wenn mich Menschen fragten „Wie geht’s?“ Das hat mich aus meiner Umwelt rausgerissen und in einen Modus des Selbstbefragens gestürzt, weil mir mein momentaner Zustand nicht immer sofort bewusst war. Irgendwann erkannte ich dann, dass die meisten Menschen auf diese Frage gar keine ehrliche Antwort wollen, sondern sie nur als höflichen Einstieg in ein Gespräch betrachten. Ein Freund von mir fragte das sogar zweimal, zum Anfang einmal floskelhaft und später noch einmal, nachdem wir uns schon eine Weile unterhalten hatten, dann aber mit so einem bedeutungsschwangeren Unterton, der versuchte dieser abgenutzten Frage eine gewisse Ehrlichkeit abzutrotzen.

Ich vermute, dass das Gesundejahrsgewünsche ähnlich funktioniert. Da aber Ehrlichkeit und Stimmigkeit für mich sehr wichtige Eigenschaften sind, kann ich ein echtes Gefühl, einen ehrlichen Wunsch nicht aus dem Stegreif aus mir herauszaubern. Leider trifft man Neujahrsgrüßer zumeist sehr überraschend ( – es wäre wohl aber auch komisch, wenn ich mich auf ein absehbares Treffen innerlich schon Stunden im Voraus vorbereiten würde). Ich würde immer erst am Ende eines Gespräches etwas wünschen, weil man sich dann auf die Person eingestellt hat, weil man dann vielleicht sogar personalisierte Wünsche formulieren kann. Ich glaube ein ehrlicher Wunsch aus dem Inneren ist sehr selten, weil er wie ein gutes Geschenk ist und damit eine gewisse Kenntnis der Vorlieben der Person und eine Abstraktion von sich selbst voraussetzt.

Da ich das floskelhafte Wünschen noch immer nicht kann, rufe ich dann in meiner Verzweiflung immer mit einer Stimme, die beiläufig und damit ehrlich klingen soll, „Dir auch!“ Ich hoffe immer, dass niemand entdeckt, dass das ja gar nicht aus mir kommt, sondern nur eine Form der Floskel-Selbstverteidigung darstellt. Manchmal schleudere ich auch schon aus purer Verzweiflung meinem Gegenüber ein „Gesundes neues Jahr!“ entgegen, nur um in die Offensive zu gelangen und nicht sofort in die Ecke gedrängt zu werden. Das ist dann fast wie bei einem Showdown im Western.

Dabei hätte ich auch so schöne personalisierte und abstruse Wünsche zu geben;
„Ich wünsche dir eine mediterranen Platte, die dir deine Freundin beim Italiener spendiert.“
„Ich wünsche dir Erdnussflips ohne Geschmacksverstärker!“

Oder vielleicht mehr auf der Gesundheitsschiene:
„Mögen dein Husten nur drei Tage lang dauern.“
„Ich wünsche dir ein schweinegrippefreies Jahr!“

Mein Lieblingswunsch:
„Ich wünsche dir ein tripperfreies Jahr!“
Dann brauche ich nur noch jemanden, der darauf passenderweise antwortet: „Puuh, ja das kann ich gebrauchen.“

 

Bild: Heptagon (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Feuerwerk.jpg)